Träumst du noch oder lebst du schon?
Gründe warum sich viele ausländische Arbeitnehmer*innen in prekären Arbeitsverhältnissen befinden und Lösungsansätze zur Beseitigung dieses Phänomens.
Träumst du noch oder lebst du schon? Manch einer mag diesen Slogan eines Life-Planning Programms schon gehört haben. Eine gute und berechtigte Frage.
Und ich kenne tatsächlich Menschen, die lange geträumt haben, dann aber aus ihrem Traum aufgewacht sind und das Leben neu anpacken wollten und zwar hier in Deutschland. Die meisten kommen aus Osteuropa, aber nicht ausschließlich. Sie wollten Armut, Elend, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit entfliehen. Manche flüchteten vor Schmerz und Tod. Aber alle hatten etwas gemeinsam: sie wollten hier bei uns ein neues Leben beginnen ihre Familien versorgen, ihren Kindern eine Zukunft bieten.
Doch die wenigsten haben es geschafft. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Der Hauptgrund für das Scheitern im neuen Leben ist die fehlende Sprachkenntnis. Ohne die Fähigkeit zu kommunizieren, haben sie keine Chance eine geregelte und angemessen entlohnte Arbeit zu bekommen. Sie haben auch keine Möglichkeit sich über die hiesigen Gepflogenheiten, über ihre Rechte und Pflichten als Arbeitnehmer*innen und ähnliches zu informieren. Dieser Wissenstand ist jedoch erforderlich, um nicht in die zahlreichen Fallstricke im Arbeitsleben zu treten. In diesem Zustand der Unkenntnis sind sie prädestiniert für prekäre Arbeitsverhältnisse und sind leichte Beute für Firmen, die solche Menschen schamlos ausnutzen, um so ihren Profit zu steigern. Besonders die personalintensiven Branchen wie Reinigung, Fleischindustrie, Bauindustrie, etc. fallen in diesem Zusammenhang negativ auf.
Das Problem ist mittlerweile allgemein bekannt. Jedoch sind Lösungsvorschläge kaum verbreitet. Was kann man dagegen tun?
Das Wichtigste ist die Verhältnisse in den Herkunftsländern nachhaltig zu verbessern. Viele Menschen, die hierher kommen, tun dies aus der Not heraus. Die wenigsten verlassen freiwillig ihre Familie, Freunde und Heimat. Sie tun dies, weil sie dort keine Perspektive für sich und ihre Kinder sehen. Wenn sich das ändern würde, würden die meisten in ihrer Heimat bleiben und viele, die schon hier sind, würden zurückkehren.
Hilfreich wäre es auch, wenn man Arbeitnehmern*in, die sich in prekären Arbeitsverhältnissen befinden, bei der Durchsetzung ihrer Rechte behilflich wäre. Eine Möglichkeit bestünde z.B. darin ihnen die Möglichkeit zu bieten, sich bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten an mit Zusatzkompetenzen ausgestatteten Behörden, wie z.B. dem Zoll oder den Arbeitsschutzbehörden zu wenden. Diese wiederum kontaktieren dann den Arbeitgeber und der muss dann gegenüber der Behörde darlegen und beweisen, warum etwaige Abweichungen zum Arbeitsvertrag entstanden und warum diese seiner Meinung nach gerechtfertigt sind. Nach der derzeitigen Rechtslage muss der Kläger, in den meisten Fällen die ausgebeuteten Arbeitnehmer*innen, jede einzelne geltend gemachte Forderung, also jede Abweichung von den vertraglichen Regelungen, vor Gericht beweisen. Dies ist in den meisten Fällen aber gar nicht möglich. Wenn ihnen keine Arbeitsverträge ausgehändigt werden oder wenn Sie keine Kopien von den Zeiterfassungsbögen erhalten, dann werden sie auch kaum die Möglichkeit haben vor Gericht eine Lohnforderung z.B. für Überstunden, zu beweisen.
Es wäre doch viel sinnvoller diese Beweispflicht den Arbeitgebern aufzuerlegen. Für sie wäre die Beweisführung viel einfacher, da sie in Besitz aller nötigen Unterlagen sind. Und wenn sie sich dann noch gegenüber einer Behörde erklären müssen, dann wäre die Wahrscheinlichkeit, dass sie wider besseres Wissen handeln, sehr viel geringer. Für die betroffenen Arbeitnehmer*innen wäre das Prozesskostenrisiko geringer bzw. gleich Null und insgesamt wäre die Rechtsdurchsetzung viel effektiver. Entsprechende Beispiele aus anderen Europäischen Ländern zeigen, dass dieser Weg erfolgreich gegangen werden kann.
Nun werden einige einwenden, dass die Behörden ohnehin überfordert sind und nicht über genügend Personal verfügen, um auch noch solche Aufgaben zu übernehmen. Und das ist auch richtig. Mit den jetzigen Mitteln wäre dies sicherlich nicht möglich. Wäre der politische Wille jedoch da, dieses bekannte Problem zu lösen, würden sich auch die nötigen Mittel dafür finden.
Aber selbst nur mit der Einführung einer Beweislastumkehr in arbeitsrechtlichen Rechtsstreitigkeiten, ohne Übertragung der Kompetenz auf die Behörden, ließen sich zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer*innen lösen.
Letzteres ist nur ein Beispiel dafür, was man allein durch ein paar Gesetzesänderungen erreichen könnte, ohne große Kosten zu verursachen.
Es ist traurig mit anzusehen, wie hilflose Menschen sich selbst überlassen und den Profitmaximierungsfantasien von Teilen der Wirtschaft als Opfer dargebracht werden.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass viele private und staatliche Initiativen und Projekte, die sich für diese Menschen einsetzen, existieren aber auch diese kommen gegen das System nicht an. Lediglich ein radikales transnationales Umdenken in allen betroffenen Staaten könnte dieses Problem lösen und den Menschen ein, vielleicht nicht „traumhaftes“, jedenfalls aber ein angenehmes und zumindest ein menschenwürdiges Leben in den Herkunftsländern oder aber hier in Deutschland bieten.
veröffentlicht im “Der Schlepper Nr. 92/93“
https://www.frsh.de/fileadmin/schlepper/schl_92-93/S92-93_40-41.pdf
September 14, 2023 @ 9:42 pm
Hallo, wir betreuen seit Jahren eine Familie aus Bulgarien.
Bei uns leisten viele Bürger ehrenamtlich Hilfe bei der Integration.
Selber für Verbesserungen beitragen ist immer besser als auf neue Gesetze zu warten.
Zum Thema zu wenig Personal: wir haben nicht zu wenig Personal sondern wir produzieren falsch …
Jens.